“Träume sind unparteiische, der Willkür des Bewusstseins entzogene, spontane Produkte der unbewussten Seele.” Zitat von C.G. Jung
Träume sind nach Meinung vieler psychotherapeutischer Schulen eine Ausdrucksform des Unbewussten. Deshalb ist die Arbeit mit Träumen ein häufiger Bestandteil von Psychotherapie. Es gibt jedoch unterschiedliche Arten der Traumdeutung. So wird in der Psychoanalyse die klassische Art der Traumdeutung praktiziert, welche über Symbole und Trauminhalte eine Verbindung zum Inneren und den Problemen herstellt. Hier wird versucht, die Ursache der Träume bzw. der Probleme zu verstehen, um diese dann therapeutisch aufzuarbeiten. Träume helfen uns, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, den Blick nach innen zu wenden und über die Welt der Symbole Zugang zum persönlichen und kollektiven Unbewussten zu finden.
Der Zugang zu unserem persönlichen und kollektiven Unbewussten ermöglicht es uns, uns zu zentrieren und hilft uns, unseren inneren Lebensweg zu finden und diesem zu folgen. Jeder kann lernen, sich an seine Träume zu erinnern und mit den Trauminhalten zu arbeiten. Ein Traumtagebuch, das direkt neben dem Bett liegen sollte, hilft uns Entwicklungen zu erkennen und über unseren bewussten Horizont hinaus Erkenntnisse zu gewinnen. Aus der Psychotherapieforschung wissen wir, dass Therapien, in denen viel mit Träumen gearbeitet wird, erfolgreicher sind als Therapien ohne Traumarbeit.
Bei der Analyse von Träumen konnte festgestellt werden, dass Trauminhalte nicht nur individuell variieren, sondern dass sich sowohl Männer und Frauen als auch Erwachsene und Kinder in ihren Trauminhalten unterscheiden. Dennoch träumen wir nicht zufällig. Die Inhalte unserer Träume sind eng mit unserer Persönlichkeit und unserem Erleben im Wachzustand verknüpft. Bestimmte Traumthemen können uns über lange Zeiträume begleiten.
Welche Funktion haben Träume?
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Träume sind wichtig für die Gehirnfunktion, das Lernen und die Gedächtniskonsolidierung. So konnte nachgewiesen werden, dass sich während des Träumens neue Synapsen bilden bwz. alte Synapsen zurückgebildet werden. So wird Gelerntes vertieft und unnötiges Wissen ins Unbewusste verlagert.
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Träume sind psychologisch bedeutsam. Trauminhalte spiegeln Ereignisse des Wachlebens wider oder sind Ausdruck unserer Gefühle. So können in Albträumen traumatische Ereignisse wiedererlebt werden oder es kann eine intensive Auseinandersetzung mit unseren Ängsten stattfinden.
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Träume unterstützen unsere persönliche Entwicklung und helfen uns, Ereignisse schneller zu verarbeiten und gegebenenfalls zu bewältigen. Da während des Träumens die Außeneinflüsse wegfallen und keine rationelle Beurteilung mit z.B. neuen Ideen stattfindet, hilft das Träumen dabei, zu neuen, kreativen Lösungen zu kommen.
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Träume ermöglichen uns den Zugang zum persönlichen und kollektiven Unbewussten: Träume spiegeln wichtige Aspekte unserer Persönlichkeit wider. Dabei tauchen Traumsymbole aus dem Unbewussten auf und verweisen neben dem aktuellen Geschehen oft auch auf Entwicklungsthemen in uns. Die Interpretation dieser Symbole hilft uns, unsere Innenwelt zu erleben und mit uns selbst in Verbindung zu treten.
Wenn Sie sich für eine neue Entwicklungen in der Traumforschung interessieren, können Sie mit einem Klick, hier meinen Artikel “Traumforschung: Neue Entwicklungen” im C.G. Jung-Journal nachlesen.
Nicht nur im REM-Schlaf träumen wir
Träume haben die Menschen seit altersher fasziniert. Der Neurobiologie und der empirischen Traumforschung verdanken wir viele spannende Erkenntnisse.
Der Mensch verbringt ein Drittel seines Lebens mit Schlafen. Träume werden in der heutigen empirischen Traumforschung als „psychische Aktivität während des Schlafens“ definiert (Roesler, 2010). Jede Nacht träumen wir, aber ob wir uns an unsere Träume erinnern, hängt von vielen Faktoren ab. Menschen, die oft in der Nacht aufwachen, ein gutes bildhaftes Gedächtnis haben, kreativ und phantasievoll sind, haben es leichter, sich an Trauminhalte zu erinnern. Das Träumen selbst kann aus subjektiver Sicht nicht erforscht werden, nur die erinnerten Trauminhalte.
Am Anfang der experimentellen Traumforschung, Mitte der fünfziger Jahre, dachten die Forscher, dass nur während der REM-Schlafphasen, in denen die Augen schnelle, ruckartige und beidseits symmetrische Bewegungen vollführen (rapid eye movement), geträumt wird. Mittlerweile wissen wir, dass auch während der Tiefschlafphasen traumtypische Gehirnaktivitäten auftreten, die allerdings weniger bildhaft und mehr durch Gedanken geprägt sind als Träume im REM-Schlaf (Foulken, 1982). Wenn Probanden während einer REM-Phase aufgeweckt werden, berichten sie oft detailliert und bildhaft von ihren Traumerlebnissen.
Die Frage, wann in der Individualentwicklung der Mensch zu träumen beginnt, ist bisher ungeklärt. Bereits bei Föten können ab der 32. Schwangerschaftswoche Augenbewegungen, Herzaktivitäten und Bewegungsmuster festgestellt werden, die sich auch bei träumenden Kindern und Erwachsenen finden. Neugeborene verbringen noch acht Stunden im REM-Schlaf, Einjährige vier Stunden und Erwachsene zwei Stunden.
Trauminhalte
Nicht nur die Traumdauer, sondern auch die Trauminhalte verändern sich während des Lebens. Calvin Hall (1966) entwickelte eine eigene Methode, um Träume zu analysieren und zu vergleichen. In mehreren Langzeitstudien wurden Traumserien über mehrere Jahre hinweg analysiert. Er fand z.B., dass Frauen sich in ihren Träumen passiver verhalten als Männer, diese dagegen sind im Träumen aktiver und betätigen sich häufiger sportlich. Aggressionen werden in Männerträumen gegenüber anderen Männern ausgelebt, während sich bei Frauen die Aggressionen eher zwischen Männern und Frauen abspielen. Tiere spielen in Kinderträumen eine viel größere Rolle als bei Erwachsenen. Bis zum vierten Lebensjahr träumen sie in 51% der Fälle von Tieren, danach tauchen Tiere in Träumen kontinuierlich seltener auf. Bei Erwachsenen finden sich nur mehr in 7,5 % aller Träume Tiere. Durch seine Studien konnte Hall wissenschaftlich fundiert zeigen, dass wir nicht zufällig träumen, sondern die Inhalte unserer Träume eng mit unserer Persönlichkeit und unserem Erleben im Wachzustand zusammenhängen. Außerdem zeigte sich, dass bestimmte Traumthemen eine Person über lange Zeiträume begleiten können. Diese entwicklungspsychologischen Aspekte des Träumens liefern uns wichtige Hinweise dafür, dass Träume mit den individuellen Themen des Träumers in engem Zusammenhang stehen.
Träume und neuronale Plastizität
Hobson und Friston (2014) haben versucht, die Funktion von Träumen neurobiologisch zu erklären. Sie ließen sich dabei von einem Pionier der künstlichen Intelligenzforschung inspirieren – Geoffrey Hinton. Hinton hat einen Algorithmus beschrieben, der für das Lernen im Rahmen künstlicher Intelligenz eine große Rolle spielt. Im künstlichen neuronalen Netz werden alle unnötigen
Verbindungen gelöscht. Dies hilft Ressourcen zu sparen und optimieren den Lernprozess. Hobson und Fristen (2014) haben dies auf die Funktion von Träumen übertragen. Sie vermuten, dass während der REM-Phase, in denen wir träumen, ähnliche Prozesse im Gehirn stattfinden.
Während der REM-Phasen, so ihre Annahme, werden einerseits unnötige synaptische Verbindungen zwischen Neuronen gelöscht und andererseits andere synaptische Verbindungen verstärkt. Unterstützt wird diese These durch eine Studie von Wie Li (2017) und Mitarbeiter, die nachweisen konnten, dass sich bei Mäusen während des Träumens neue Synapsen wieder zurückbilden und andere verstärken. Sie kamen zu dem Schluss, dass der „REM-Schlaf vielfältige Funktionen bei der Gehirnentwicklung, beim Lernen und der Gedächtniskonsolidierung hat.“
Während des REM-Schlaf werden vorrangig motorische und automatisierte Abläufe wie Tanzen verankert. Im Tiefschlaf hingegen wird das verbal reproduzierbare (deklarative) Wissen gefestigt. Der Neurologe Pierre Maquet von der Universität Lüttich beschäftigte sich mit dieser Thematik und lies Probanden im Positronen-Emissions-Tomographen (PET) schlafen, wobei über den neuronalen Stoffwechsel die Aktivität verschiedener Hirnregionen sichtbar wird. Im REM-Schlaf sind besonders die Areale aktiv, die auch im jüngst zurückliegenden Wachzustand auf Hochtouren gearbeitet haben. Dies stützt die Annahme, dass in Träumen Gelerntes verankert wird.
Warum aber erinnert man sich dann in Träume oft an Verbotenes oder an Stürze aus Häusern oder Flugzeugen oder man steht nackt vor anderen? Eine repräsentative Umfrage des Instituts Allensbach ergab, dass 81% der Befragten von Arbeit, Beruf, Reisen, und viel Geld träumen, aber auch Themen wie Sturz, Fallen, Fliegen, Tod, Angriff, Verfolgung, Flucht und Krieg kamen häufig in Träumen vor. Schredl (1999, 2006) spricht in diesem Zusammenhang von einer Kontinuitätshypothese: wichtige Ereignisse im Wachleben, die für die Betroffenen mit intensivem Stress verbunden sind, tauchen häufig als Trauminhalte auf (z.B. Trennungen, schwere Erkrankungen). Die Kontinuitätshypothese besagt, dass der Mensch von dem träumt, was ihn beschäftigt – je gefühlsbetonter die Erfahrungen sind, desto wahrscheinlicher tauchen sie im REM Schlaf auf (Merkel, 2006).
Träume sind psychologisch bedeutsam
„Der Traum ist eine spontane Selbstdarstellung der aktuellen Lage des Unterbewusstseins in symbolischer Ausdrucksform.“ (Jung, 1971, S. 291) Empirische Traumforscher wie Foulkes (1982) konnten nachweisen, dass Trauminhalte Ereignisse des Wachlebens wiederspiegeln und Trauminhalte auch unsere Stimmung am nächsten Tag nachweisbar beeinflussen. Albträume können Ängstlichkeit verstärken, unser Selbstwertgefühl vermindern, aber auch dazu führen, dass wir uns neue Lösungsstrategien überlegen (Picchioni und Dieks, 2009). 10% der Menschen leiden einmal im Monat unter Albträumen, Frauen öfters als Männer (Schredl, 1999, S. 117) Aus Albträumen erwachen wir angsterfüllt und oft wird das Aufwachen von Panikgefühlen begleitet und man ist desorientiert. Albträume (nigthmares) sind häufig Wiederholungsträume, in denen wir uns mit intensiven Ängsten auseinandersetzen. Eine zweite Kategorie von Albträumen tritt bei posttraumatischen Belastungsstörungen auf (nightterrors). Hierbei werden Teile vom Traumainhalten reaktiviert. Diese Ergebnisse stützen Jungs These, dass Träume psychologisch bedeutsam sind und die therapeutische Traumarbeit Menschen helfen kann, die dahinterliegenden psychologischen Themen besser zu verstehen.
Träume unterstützen unsere persönliche Entwicklung
„Da das Bewusstsein allen möglichen äußeren Anziehungen und Ablenkungen ausgesetzt ist, lässt es sich leicht dazu verleiten, Wege zu gehen, die seiner Individualität fremd und nicht gemäß sind. Die allgemeine Funktion der Träume ist, solche Störungen des geistigen Gleichgewichts auszugleichen, in dem sie Inhalte komplementärer und kompensatorischer Art hervorbringen.“ (Jung, 2001, S. 162f.)
Für C.G. Jung fördern Träume die Selbstregulation der Psyche. Studien konnten zeigen, dass Traumata in Träumen verarbeitet werden und träumen traumatisierten Personen hilft, die Ereignisse zu verarbeiten (Hartmann, 1998). Ehefrauen, die bei einer Scheidung öfters von ihrem Ex-Mann träumen, bewältigen die Scheidungsfolgen besser (Catwright, 1996). LeBerge (1984) konnte in einer Studie umgekehrt nachweisen, dass sich Albträume, aber auch andere Träume durch Imaginationen verändern lassen, was therapeutisch hoch relevant sein könnte.
Hartmann (1996) vertritt die Theorie, dass wir während des Träumens anders denken als im Wachzustand. Dadurch, dass wir keine Außeneindrücke verarbeiten müssen, kann sich das Gehirn auf seine inneren Prozesse fokussieren. Das Denken ist während des Traumprozesses assoziativer und rekrutiert mehr Hirnregionen als im Wachzustand. Ungewöhnliche, kreative Ideen werden nicht sofort rational beurteilt und auf ihre Machbarkeit überprüft. Ideen können sich weiterentwickeln und entfalten. Spitzer et al (1993) konnten experimentell beweisen, dass im REM-Schlaf tatsächlich mehr Assoziationen hergestellt werden als im Wachzustand. Das hilft uns, zu neuen, kreativen Lösungen zu kommen.
Die Traumforscherin Deirdre Barrett (2001) hat Beispiele dafür gesammelt, dass Künstler und Wissenschaftler ihre Träume systematisch nutzen, um wissenschaftliche oder künstlerische Fragestellungen weiter zu entwickeln. Oft konnten Forscher auf diese Weise auch Arbeitsblockaden lösen. Zahlreiche empirische Untersuchungen stützen Jungs These der kreativen Problemlösung durch Träume. Harvard-Forscher haben dies zur Methode gemacht. In Kursen üben Studenten oder Ingenieure, neue technische Lösungen zu finden, in denen das kreative Potential von Träumen genutzt wird. Ergebnis eines solches Kurses war es zum Beispiel, dass ein Ingenieur ein neues Enzym fand, das Ölprodukte schneller abbauen hilft (Deirdre Barrett, 2001).
James Turrel, geboren 1943, einer der größten Lichtkünstler der Gegenwart, zeigt seine aktuelle Ausstellung im Burda-Museum in Baden-Baden. Er illustriert eindrucksvoll die Auswirkungen von Licht auf den Menschen, insbesondere auf seine Emotionen. Manchmal fühlt man sich dabei sogar wie in einem Traum, denn Turrel erzeugt keineswegs Licht, wie man es mit geöffneten Augen sieht, sondern Farben, die wir aus Träumen kennen. „Der Raum des Traums interessiert mich, seine Regeln sind anders. Ich will das zeigen“ erklärt Turrell in einem Interview in die Zeit. Doch woher erkennt man den die Farbe des Traums? „Man kennt sie aus sogenannten Klarträumen. Die meisten Farben entstehen erst in unserem Kopf. Wir Menschen denken, wir würden diese Erfahrung von außen empfangen, aber wir schaffen sie in unserem Gehirn“ (Timm, 2018).
Träume ermöglichen uns den Zugang zum persönlichen und kollektiven Unbewussten
„Das Unbewusste ist gewissermaßen der Mutterboden, aus dem Bewusstsein wächst.“ (C.G. Jung)
Träume sind nicht willkürlich oder beliebig, sondern spiegeln wichtige Aspekte unserer Persönlichkeit wider. Die Beschäftigung mit Trauminhalten fördert die Introspektionsfähigkeit und hilft uns, die Gedanken, Gefühle und Sinneseindrücke, die auf uns einströmen, zu ordnen und zu verarbeiten. Das assoziative Denken fördert die Kreativität und die Beschäftigung mit unserer spielerischen Seite. Traumsymbole tauchen aus dem Unbewussten auf und verweisen neben dem aktuellen Geschehen oft auch auf Entwicklungsthemen oder Entwicklungsmöglichkeiten in uns. Jungs Ansatz der Amplifikation, bei dem Traumgeschehen und Traumsymbole „angereichert“ werden, hilft, den Trauminhalt um die kollektive Dimension zu erweitern. Die Trauminhalte werden in Bezug gesetzt zu kulturellen oder gesellschaftlichen Phänomenen. Es wird nach der Bedeutung der Symbole oder des Geschehens in Kunst, Kultur und Religion geschaut. Dieser Ansatz verstärkt den assoziativen Charakter des Traumdenkens, ist aber gleichberechtigt mit der individuellen Sicht auf die Symbolik und das Geschehen zu sehen. Gemeinsam mit dem Träumer wird nach der für ihn sinnvollsten und hilfreichsten Interpretation gesucht. Dieses Erleben einer reichen Innenwelt hilft uns, mit uns selbst in Verbindung zu treten. Durch das Erleben der kollektiven, allgemeingültigen Dimension der Symbole weitet sich unser Bewusstsein. Das logische Denken wird ergänzt.
Können Träume in Videos dargestellt werden?
Bereits vor einigen Jahren ist es japanischen Forschern gelungen durch die Analyse von funktionellen Magnetresonanztomographie Aufnahmen (fMRT) herauszufinden, was Versuchspersonen gerade visuell wahrnehmen. Beim fMRT werden die Hirnareale, die aktiviert sind und dadurch mit mehr Blutsauerstoff versorgt werden, mit hoher räumlicher Auflösung dargestellt.
Bei einfachen Formen und Zahlen funktioniert das Verfahren bereits sehr gut. Jetzt arbeitet die Forschungsgruppe von Yukiyasu Kamitani daran, Videos zu Träumen herzustellen (Kamitani, 2014). 2013 konnte er zeigen, dass teilweise Inhalte von Träumen mit Hilfe eines Algorithmus decodiert werden können. Die Hirnaktivtäten der Studienteilnehmer werden mittels fMRT während des Schlafens gemessen. Wiederholt werden die Versuchspersonen aufgeweckt und nach ihren
Trauminhalten befragt. Auf diese Art und Weise lernen die Algorithmen, bestimmte Hirnaktivtäten zu bestimmten Trauminhalten zuzuordnen. Bisher können die Forscher zum Beispiel sagen, ob der Träumer einen Hund oder eine Katze sieht. Auch eine Verfolgung kann decodiert werden, ob jedoch der Hund die Katze oder umgekehrt verfolgt ist noch nicht erkennbar.
Kamitani arbeitet eng mit Neurochirurgen zusammen und erhofft sich für die Zukunft und die Entwicklung weiterer, genauerer Messmethoden.
Träume in der Cloud
Der Amerikaner Hunter Lee Soik hat die Traum-app „Shadow“ entwickelt, die als sanfter Wecker funktioniert. Wenn man möchte, kann man sich mehrmals in der Nacht aufwecken lassen. Da der Wecker langsam lauter wird, wird man sanft aus dem Schlaf geweckt. Dieses sanfte Aufwachen unterstützt das Traumerinnern. Direkt nach dem Aufwachen kann man mit dem Aufzeichnen der Träume beginnen. Es besteht die Möglichkeit, die Träume in ein Diktaphon zusprechen, von wo sie dann automatisch mit Hilfe einer Spracherkennungssoftware transkribiert werden. Alternativ kann man Träume auch schriftlich festhalten. Die App durchsucht die Texte automatisch nach Symbolen, die dann markiert werden. Der Träumer kann sich auf diese Weise alle Träume anzeigen lassen, in denen z.B. bestimmte Symbole oder Angstinhalte vorkommen. Diese Funktion der App ermöglicht es, ein digitales Tagebuch zu führen und erleichtert die Auswertung der Trauminhalte nach unterschiedlichen Kriterien. Soiks eigentliches Ziel ist es, die weltweite größte Traumdatenbank zu schaffen. Jeder Nutzer von Shadow kann frei darüber entscheiden, ob er anonymisiert seine Traumdokumentation hochladen will. Ziel ist es weltweit eine Million Träume zu sammeln.
Soik kooperiert mit vielen bedeutenden Wissenschaftlern, die sich mit Träumen beschäftigen, z.B. Deirdre Barrett (Harvard) und Scott Sparrow (Texas). Er selbst nennt als ein Ziel, die Theorie C.G. Jungs zum kollektiven Unbewussten und der Archetypen mit Hilfe dieser Datenbank zu verifizieren oder zu falsifizieren. In einem Interview mit Dimitri Kreuz schildert Soik seine Vision: „Wir sprechen hier also über die Quantifizierung von Träumen. Stell Dir doch einmal vor, was das eigentlich bedeutet, wenn man die gesamten Träume einer Nutzer-Community in einer riesigen Datenbank zusammenfasst. Das wäre eine unglaubliche Ressource für Forscher, die damit herausfinden können, wie unser Unterbewusstsein funktioniert.“ (Krenz, 2014, S.4) Zu dieser Datenquelle sollen Wissenschaftler weltweit Zugang erhalten.
„Für uns ist Shadow eine Möglichkeit, die Menschen auf andere Weise miteinander in Kontakt treten zu lassen. Die Idee ist, dass Menschen auf der Basis ihre Träume anfangen, miteinander zu kommunizieren. Sie reden dann über Dinge, die sie in ihrem Unterbewusstsein miteinander verbinden. Sagen wir, letzte Nacht hast du von einem Papagei geträumt, wir können dir alle anderen Menschen zeigen, die von einem Papagei geträumt haben. Dann könnt ihr darüber ins Gespräch kommen, was diese Träume eigentlich bedeuten, und zwar ohne dabei das Ego in den Mittelpunkt zu stellen. Schließlich bleiben die Identitäten anonym“ (Krenz, 2014, S. 3f).
Soik möchte eine Brücke schaffen, die Traum und Wirklichkeit miteinander verbindet. Auf einer globalen Ebene konnte ein Algorithmus erstellt werden, der dem aktuellen Weltgeschehen angepasst ist. Dadurch hofft er herauszufinden, ob es Menschen gibt, die mit ihren Träumen die Zukunft vorhersagen können, da durch die Traumdatenbank solche Behauptungen überprüfbar wären. Seine Traum-App soll es Menschen ermöglichen viel bewusster mit ihren Träumen umzugehen und ein tieferes Verständnis für sich selbst zu entwickeln.
Ausblick
In unserer technisierten, schnelllebigen Welt, die uns mit Sinneseindrücken flutet, helfen uns unsere Träume, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, den Blick nach innen zu wenden und über die Welt der Symbole Zugang zum persönlichen und kollektiven Unbewussten zu finden. Dies ermöglicht uns, uns zu zentrieren und hilft uns, unseren inneren Lebensweg zu finden und diesem zu folgen. Jeder kann lernen, sich an seine Träume zu erinnern und mit den Trauminhalten zu arbeiten. Ein Traumtagebuch, das direkt neben dem Bett liegen sollte, hilft uns Entwicklungen zu erkennen und zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen. Aus der Psychotherapieforschung wissen wir, dass Therapien, in denen viel mit Träumen gearbeitet wird, erfolgreicher sind als Therapien ohne Traumarbeit (Roesler, 2010, S. 109f.).
Mein Dank gilt Christian Roesler, der sich in seinem Buch „Analytische Psychologie heute“ akribisch mit der aktuellen Traumforschung in Bezug auf Jungs Traumtheorie beschäftigt hat und dem ich wichtige Anregungen verdanke.
Dieser Artikel ist erschienen im Jung Journal Heft 40. Mehr können Sie hier nachlesen: Jung Journal Heft 40: Träume
Einen wissenschaftlichen Artikel von mir zum Thema Träume, in dem die Hypothese untersucht wurde, ob durch Träume der Patient sukzessive immer mehr Zugang zu emotional verstärkten (affektiven) unbewussten Dimensionen erhält, finden Sie hier:
A Phase Transition of the Unconscious in Analysis of Dreams in Psychoanalytic Psychotherapy